Thich Nhat Hanh (1926 – 2022)

Thich Nhat Hanh (1926 - 2022)
Thich Nhat Hanh im EIAB Waldbröl (2011)

Die Lehren des Buddhismus haben mich seit meiner Studienzeit sehr fasziniert, drücken sie doch aus, was ich über das menschliche Leben und das Miteinander der Lebewesen denke und fühle.
So fiel mir Ende der 90er Jahre das Buch „Ein Mann namens Buddha“, eine Sammlung von Texten zu zentralen buddhistischen Begriffen und Konzepten in die Hände. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, so etwas wie eine geistige Heimat gefunden zu haben. Hatte mir die Liturgie des Katholizismus, die ich als junger Kirchgänger und später als Messdiener kennengelernt hatte, zwar eine gewisse Befriedigung mittels der Rituale des Gottesdienstes verschafft, so konnte ich mit vielen Aussagen der Bibel bei näherer Betrachtung nicht besonders viel anfangen.

Es sollte jenseit dieser ersten Begegnung mit den Lehren Siddharta Gautamas allerdings noch mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis ich meine ersten praktischen Erfahrungen mit Achtsamkeit und Meditation machen würde.

An einem Sonntag, dem 18.07.2010 traf ich während der Aktion „Stillleben“ auf der A40, die quasi vor meiner Haustür verläuft, mit einer damaligen Freundin und Arbeitskollegin auf die Nonnen und Mönchen des Europäischen Instituts für Angewandten Buddhismus, einer Einrichtung, die von dem vietnamesischen Mönch Thich Nhat Hanh 2008 in Walbröl zwischen Köln und Siegen gegründet worden war. Nachdem wir uns am Infostand mit einem Programmheft eingedeckt hatten, beschlossen wir, der Einrichtung einmal einen Besuch abzustatten.

Als wir dann im April 2010 auf dem Gelände des EIAB angekommen waren, um an einem der sonntäglichen Achtsamkeitstage teilzunehmen, fühlten wir uns anfänglich doch ein wenig verloren. Der Hauptbau, der vor und während der Nazizeit als eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, wo schreckliche Verbrechen an den Bewohnern verübt wurden, diente und der später als Kraft-durch-Freude-Hotel für die Nazionalsozialisten fungierte, war verschlossen, so dass wir erst daran dachten, schnell wieder zu fahren. Als wir dann auf einen der jungen Mönche trafen, der uns den Weg zu einem Nebengebäude, der ehemaligen Zivildienstschule wies, begann für mich eine Erfahrung, die ich mein Leben lang nicht mehr vergessen sollte.
Schon beim Singen mit den Brüdern und Schwestern war ich emotional so aufgewühlt, dass ich weinen musste.

Ich atme ein, ich atme aus;
ich atme ein, ich atme aus.
Ich blühe wie die Blume,
bin frisch wie der Tau -
groß und stark wie die Berge
wie die Erde so fest.
Ich bin frei.

Ich atme ein, ich atme aus;
ich atme ein, ich atme aus.
Ich bin Wasser, was spiegelt,
was wirklich ist, was wahr.
Und ganz tief in meinem Innern
da ist weiter, weiter Raum.
Ich bin frei, ich bin frei, ich bin frei.
Thich Nhat Hanh


Nach einer einleitenden Sitzmeditation mit Fokus, oder wie man im Buddhistendeutsch sagen würde, Gewahrsam auf den Atem, folgte ein sehr bewegender Vortrag über buddhistische Psycholgie, der von Thay Phap An, dem Leiter des Instituts gehalten wurde.

Eindrücklich schilderte er, wie er den Vietnamkrieg als junger Mensch erlebt und wie die Erfahrungen von brennenden Dörfern und unsäglichem Leid sich in seine Seele eingebrannt hatten. Der Anblick eines Sonnenaufgangs war, so seine Schilderungen, geeignet, tiefste Depressionen in ihm auszulösen. Nach einem Studium der Mathematik in den USA beschloss er später, buddhistischer Mönch zu werden.

Wir Anwesenden lernten Konzepte und Begrifflichkeiten wie z.B. Leiden, Intersein und Nicht-Selbst kennen.
Es folgten weitere Meditationsphasen, ein Mittagessen in Stille, damals noch weniger förmlich (im Gegensatz zum Essen in der großen Meditsationshalle, wo die Nonnen und Mönchen einem Gegenüber sitzen und man sich gegenseitig beim Kauen zuschauen kann) in der Cafeteria im Untergeschoss, eine Reflexionsrunde/ Austausch, bevor es wieder nach Hause ging.

In der Folgezeit gab es mehrere solcher Besuche, wenn ich auch die Energie der Achtsamkeit, die ich während dieser Besuche im EIAB spüren konnte, nur teilweise mit in den Alltag mitnehmen konnte. Zu sehr ist man Gewohnheitstier und sehr langsames Gehen im Park oder wo auch immer man ist, wirkt nicht nur auf andere in unserer doch recht hektischen Welt befremdlich. Ich glaube mit einer Sangha um sich herum gelingt einem das einfach leichter. So spürt man förmlich in Waldbröl inmitten der Gemeinschaft der ordnierten Nonnen und Mönchen und der Laien fömlich, wie Körper und Geist nach Innehalten und Vergenwärtigung dessen, was gerade da ist, streben.

Der ehrenwerte Thich Nhat Hanh, den ich als einflussreichen Vertreter eines engagierten und auf Achtsamkeit fokussierten Buddhismus in den letzten fast 12 Jahren sehr schätzen gelernt und 2011 auch live im EIAB erlebt habe, schreibt in seinem Buch „Das Herz von Buddhas Lehre“ sinngemäß, dass wir zur Ruhe kommen müssen, um Heilung möglich zu machen. Das gilt sowohl auf individueller als auch globaler Ebene. Unsere Welt hat Einkehr dringend nötig. Anhalten hilft dabei auch, eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen.

Klimawandel, Verkehr, Ernährung, der Umgang mit anderen Menschen, Natur und Ressourcen, all das scheinen mir Themen, die eine gute Portion Innenschau vertragen können, wenn wir nicht „das Fleisch unserer Kinder“, wie es Thich Nhat Hanh ausdrückt, essen wollen.

Am 22.01.2022 hat nun Thich Nhat Hanh, Zen-Meister und Advokat eines engagierten Buddhismus, der sich in seinen letzten Lebensjahre 2015 zunächst in Plum Village Frankreich und zuletzt in seiner Heimat Huế in Vietnam von den Folgen eines schweren Schlaganfalls erholte, im Alter von 95 Jahren seinen menschlichen Körper verlassen.

Im Bewußtsein, dass im Sinne der buddhistischen Überzeugung nichts geboren wird und nichts stirbt, werden die Lehren Thich Nhat Hanhs in der Praxis von Anhängern auf der ganzen Welt und insbesonderen in den von ihm gegründeten Zentren in Europa, Asien, den USA, Australien und Thailand weiterleben.

Jeder Tag ist wie ein weißes Blatt Papier und Du der Künstler, der es mit Leben füllt (frei nach Thich Nhat Hanh)